„Nicht-referenzielle Architektur“

Gedacht von Valerio Olgiati, geschrieben von Markus Breitschmid

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Architektur hat die Aufgabe, das Leben in eine räumliche Ordnung zu übersetzen.“

Wo befinden wir uns heute, nach Moderne und Postmoderne? Was sind die Strömungen unserer Zeit, wie beeinflussen sie Architektur heute? 

Das Buch soll einen ersten Schritt, eine neue Herangehensweise an unsere heutige Welt liefern. Es beginnt damit, klarzustellen dass wir uns in einer „nicht-referenziellen“ Welt befinden und inwiefern diese etwas mit Architektur zu tun hat. Dabei geht es nicht darum einen neuen Stil zu erfinden, im Gegenteil dient es dazu die Gedanken der LeserIn anzuregen und ihm eine andere, vielleicht weniger pessimistische Sicht auf unsere polyvalente Welt zu ermöglichen. Es geht darum, dass wir ArchitektInnen uns weiterhin als Spürhunde begreifen, welche die allgemeinen Strömungen und Veränderungen in der Welt frühzeitig erkennen, einer Welt in welcher der Begriff „Wahrheit“ sich ständig zu verändern scheint.

Wo stehen wir heute?

Unsere „nicht-referenzielle“ Welt, welche nicht mehr an allgemein gültige Ideologien glaubt, versteht Olgiati als eine Art Befreiungsschlag, da sie sich an nichts außerarchitektonisches mehr zu halten hat. Nicht-referenzielle Architektur hat anderes zu leisten als jede Architektur vor ihr. Wir haben es hier also mit einer ganz neuen Situation zu tun. Die Heterogenität unserer Gesellschaft bietet heute einen ganz anderen Ausgangspunkt wie etwa zu Zeiten der Moderne. Sie ermöglicht und bedingt es, sich von allen außerarchitektonischen Dingen zu befreien. Eine von Ideologien und Äußeren Einflüssen befreite Architektur wird dadurch nicht-referenziell. Diese Architektur besteht nur aus sich selbst heraus. Diese Herangehensweise schafft einen neuen Ausgangspunkt und ändert, oder schärft den Blick dafür, was Architektur überhaupt zu leisten hat. Dabei ist das Studium bereits bestehender Architektur jedoch keineswegs zu vernachlässigen. Olgiati beschreibt diesen Prozess als „genealogische Analyse“, es geht darum sich formalen und rein architektonischen Qualitäten zu widmen, alles außerarchitektonische ist nicht relevant. So ist Architektur dazu da, eine räumliche Erfahrung zu vermitteln und gleichzeitig das menschliche Bedürfnis nach einem Sinn zu befriedigen.

Was hat Architektur zu leisten? 

Dabei ist es als ArchitektIn wichtig, nicht zu vergessen, dass wir verantwortlich dafür sind, welche Raumerfahrung jemand macht und dies nicht dem Zufall überlassen werden kann. Es geht darum eine Absicht zu formulieren. Raumerfahrung wird dabei als ein grundlegendes Gefühl verstanden, welches bei allen Menschen gleich ist. Räume werden mit allen Sinnen, also emotional und kognitiv erfahren. Sie werden physisch und psychisch aufgenommen und verarbeitet. Das Wesentliche der Aufgabe der Architektur ist es dabei, Menschen in einen Dialog und Diskurs treten zu lassen und dabei ihre Kreativität zu wecken. Ein*e ArchitektIn formuliert durch ein Gebäude eine These, zum Verhältnis zwischen Mensch und Welt.  

Wie funktioniert nicht-referenzielle Architektur? 

In seinem Buch beschreibt Olgiati, welche Parameter nicht-referenzielle Architektur ausmacht. Ihre Idee müsse dabei zwei Qualitäten aufweisen: sie hat einerseits formgenerierend und andererseits sinnstiftend zu sein. Auf eine Idee folgen die formale Absicht und der Entwurf einer Ordnung. Sinnstiftung ist dabei gerade heute essentiell, da sie einer heutigen „metaphysischen Obdachlosigkeit“ entgegenwirkt und einen lebendigen Umgang mit dieser befördert, sie ist das „Warum?“ einer Sache, welches sich heute nicht mehr auf übergeordnete Ideologien abwälzen lässt. Die Idee der Architektur selbst muss also eine Sinnstiftung beinhalten.
Um die Indikatoren der nicht-referenziellen Architektur einzugrenzen, beschreibt das Buch sieben Prinzipien: Raumerfahrung, Ganzheit, Neuheit, Konstruktion, Widerspruch, Ordnung und Sinnstiftung. 
Diese Prinzipien werden in eigenen Kapiteln ausführlich aufgeführt und erläutert. Sie helfen dabei zu verstehen wie sich nicht-referenzielle Architektur vielleicht umsetzen lässt.

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“Ein Gebäude sollte immer wieder neu dazu anregen, es sich erschließen zu wollen.”

Ist es überhaupt möglich sich jeder Referenz zu entziehen?

Ob Architektur sich überhaupt von jeglichen außerarchitektonischen Einflüssen befreien lässt, ist schwer zu beantworten. Da sie immer von Menschen gemacht wird, scheint es jedoch schwer diesem Anspruch komplett gerecht werden zu können. Das Buch hat für mich aber aufgrund seiner Aktualität eine große Relevanz. Es greift viele grundlegende Fragen auf und bietet viel Stoff zum Nachdenken. Dabei hilft es auch, sich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren und generell den Prozess des kreativen Schaffens zu reflektieren, sowie in Frage zu stellen wie man dabei beeinflusst wird. In unserer heutigen Welt, in welcher man sich aufgrund der vielen Möglichkeiten von Ablenkung und Einflüssen schell verloren fühlen kann, ist es umso wichtiger das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren. Das Buch gehört aufgrund dessen für mich zu den  „Architekt-Lese-Essentials“ im 21. Jahrhundert. 


Bei uns könnt ihr das Buch vor Ort im iLab lesen oder in der Hauptbibliothek ausleihen.

Auf YouTube gibt es zum Thema ein kurzes interessantes Interview mit Valerio Olgiati:

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